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Gerechtigkeit

 

Die Aporien des Arbeitsvertrages

Bevor der Arbeiter oder die Arbeiterin, von mir kurz Lohnabhängiger genannt, einen Arbeitsvertrag abschließt, ist er eine freie Person als Voraussetzung des Kontrakts. Er hat Anspruch darauf, nicht nur immer auch als Zweck behandelt zu werden, sondern er gehört auch sich selbst, ist sein eigener Herr (sui iuris). Allerdings nicht Eigentümer seiner selbst, denn dann könnte er beliebig über sich verfügen, sich also z. B. in die Sklaverei verkaufen, also sich selbst zum bloßen Mittel machen. Der Lohnabhängige kann jedoch auf dem Markt nichts außer sich verkaufen, um seine Existenz zu sichern, da er keine äußeren Güter besitzt, mit denen er seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Der Lohnabhängige ist also in der Sphäre der Zirkulation, wo Verträge geschlossen werden, Rechtssubjekt, der Inhalt des Arbeitsvertrages macht ihn aber zum bloßen Mittel, da er nichts anderes einbringen kann als sich selbst. „Das eigentumslose Subjekt steht insofern außerhalb des Rechts, als es am Rechtsverkehr nicht partizipieren kann. Es ist nur virtuell Rechtssubjekt.“ (Deggau, a. a. O., S. 211)
„Ließe der Mensch sich vollständig zum Mittel machen, gäbe er sein Vermögen der Zwecksetzung preis, so läge darin zugleich die Aufgabe seiner Persönlichkeit. Als nur phänomenaler Körper könnte er keinen eigenen Zweck mehr geltend machen und wäre vollständig der Willkür des anderen anheimgegeben. Das Rechtsverhältnis wäre aufgelöst, denn dieser Mensch hätte als Mittel nur Pflichten, aber keine Rechte mehr. Es gibt aber kein ‚rechtliches Verhältnis des Menschen zu Wesen, die lauter Pflichten und keine Rechte haben … Denn das wären Menschen ohne Persönlichkeit (Leibeigene, Sklaven)‘ (Einteilung MS, S. 349). Die Einhaltung der ‚Verbindlichkeit aus dem Rechte der Menschheit in unser eigenen Person‘ (Einteilung, 344) ist daher Voraussetzung des Rechts und seines Bestandes, die Möglichkeit aller vertraglichen Beziehungen.“ (Deggau: Aporien, S. 209; die Zitate im Zitat sind von Kant.) „Die Leibeigenschaft (und Sklaverei, BG) wären der Tod der Person“ (Kant, zitiert nach Deggau, S. 210).
Der Lohnabhängige ist gezwungen, das einzige zu verkaufen, was er besitzt, nämlich seine Arbeitskraft. Nun wird der Arbeitsvertrag nicht auf Dauer abgeschlossen, sondern nur für eine bestimmte Zeit. Der Lohnabhängige kann als freies Rechtssubjekt den Arbeitsvertrag jederzeit kündigen, auch kann er nicht gezwungen werden, den Arbeitsvertrag zu erfüllen, etwa indem er, wie noch zu Kants Zeiten entlaufenes Gesinde, mit Zwang zurückgeführt werden kann. Dennoch widerspricht der Arbeitsvertrag den Rechtsgrundsätzen Kants und dem Sittengesetz.
Der Lohnabhängige „hat keinen Gegenstand in Besitz, über den er einen Vertrag mit einem anderen schließen könnte. Auch zur Erbringung einer zukünftigen gegenständlichen Leistung ist er nicht in der Lage, da ihm dazu die materielle Grundlage fehlt. Der einzige Gegenstand, auf den ihm ein affirmativer Bezug möglich ist, ist sein Leib. Diesen kann er aber nicht verdingen, ohne die Basis des Verdingungsvertrages selbst, seine äußere Freiheit als Rechtssubjekt, aufzuheben.“ (Deggau: Aporien, S. 210)
„Wer gezwungen ist, seine Arbeitskraft zu verkaufen, für den bleibt Moralität nur eine virtuelle Bestimmung“ (Büchsel, zitiert nach Deggau, a. a. O., S. 210, Anm. 56)
Sich selbst zu verkaufen und sei es nur auf eine bestimmte Zeit widerspricht der kantischen Rechtskonstruktion und ebenfalls der Gerechtigkeit, wie sie oben bestimmt wurde. Kant hat diese Problematik gesehen und sie versucht zu lösen. „Er stellt deshalb wegen des dinglichen Moments des Lohnvertrages, welches das Moment der Verfügung über den gleichsam abgetrennten Leib beinhaltet, diesen unter die Typik des auf dingliche Art persönlichen Rechts.“ (A. a. O., S. 211; Hervorhebung von mir.) Die Vorstellung der Verdingung trennt die Person vom Leib, zerstört also ihre Einheit. Sie besagt, dass der Lohnabhängige im Arbeitsvertrag nur als physischer Körper, als Arbeitskraft, zu behandeln ist. Über diesen bestimmt in seiner produktiven Tätigkeit allein derjenige, der ihn gemietet hat. Damit wird unterstellt, dass die Person des Arbeiters frei bleibt und nicht wie beim Sklaven selbst zum bloßen Mittel gemacht wird. Der Lohn für die Verdingung, die Menge der Lebensmittel zur Erhaltung und Fortpflanzung der Arbeitskraft, erscheint dann als Zweck, den die Person des Arbeiters beanspruchen kann.
Doch diese Rechtfertigung des Arbeitsvertrages durch Kant ist aporetisch. Die Aufspaltung in Leib und freie Person ist unhaltbar. Die Arbeitskraft stellt „den Inbegriff der physischen und geistigen Fähigkeiten, die in der Leiblichkeit, der lebendigen Persönlichkeit eines Menschen existieren und die er in Bewegung setzt, sooft er Gebrauchswerte irgendeiner Art produziert“ dar (Marx: Kapital I, S. 181). Ihre rechtliche Spaltung in Physis und Geist, Leib und freie Person, ist unmöglich. Der Arbeiter muss seinen freien Willen betätigen, wenn er die Zwecke seines Herrn, also des Kapitals, realisieren soll. Der Mensch als freie Person kann nicht von seinem Leib abstrahieren, denn der Leib gehört zur Veräußerung seiner Freiheit. Eine Freiheit, die sich nicht äußern kann, ist keine Freiheit. Es gilt, „daß die Freiheit als äußere ohne den Leib keinen Bestand hat“ (Deggau: Aporien, S. 215). Die kantische Konstruktion des auf dingliche Art persönlichen Rechts spaltet also die Einheit des lebendigen Menschen und macht aus ihm ein bloßes Mittel der Herrschaft. Dadurch ist diese Rechtfertigung der Lohnarbeit selbst sittenwidrig und dadurch ungerecht. Auch das Argument, die Freiheit werde nur zeitweise eingeschränkt, ist nicht haltbar.
„Durch den Vertrag wird also auf die Freiheit nur teilweise, nämlich zeitweise, verzichtet. Daher muß die Freiheit hier so verstanden werden, als sei sie quantifizierbar. Das ist aber unmöglich, da sie nicht teilbar ist noch sein kann. Wenn der Vertrag der Sache nach die Freiheit einschränkt oder beseitigt, so ist er rechtswidrig.“ (A. a. O., s. 217)

Auch die Aporien des Arbeitsvertrages verweisen auf die Problematik in der Sache. Denn die schiefe Rechtskonstruktion „des auf dingliche Art persönlichen Rechts“ muss Kant nur deshalb einführen, um die Lohnarbeit zu rechtfertigen, die zur Realität der bürgerlichen Gesellschaft gehört und nicht aus der apriorischen Rechtskonstruktion Kants sich ableiten lässt. Die Konstruktion des Arbeitsvertrages verdankt sich den gesellschaftlichen Verhältnissen, diese bestimmen das als a priori behauptete Recht, nicht umgekehrt. „Es zeigt sich mithin, daß das Recht allein aus sich als Verhältnis vernünftiger Wesen ohne Rekurs auf die Natur und die Gesellschaft nicht begründet werden kann.“ (A. a. O., S. 223) Gehen aber die gesellschaftlichen Verhältnisse wie das zwischen Gesinde und Hausherr, Lohnarbeit und Kapital, in die Rechtskonstruktion ein, dann muss gefragt werden, ob diese überhaupt vernünftig sind und sich mit einem vernünftigen Recht schlüssig fassen lassen. Die Frage entscheidet dann auch, ob die bürgerlichen Verhältnisse und ihre rechtliche Fixierung die Voraussetzungen moralischen Handelns überhaupt sein können, sie entscheidet darüber, ob der Mensch frei ist oder nicht.

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Der Begriff der Gerechtigkeit bei Kant und
die soziale Wirklichkeit des Kapitalismus

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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Letzte Aktualisierung:  02.10.2014

                                                                       
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